Wie oft passiert das im Alltag!

Jemand verletzt dich durch seine Worte oder sein Handeln. 

In dir tobt der Schmerz dieser Verwundung und Angst macht sich breit, ob denn noch so ein Schlag kommt. Im Affekt würdest du vielleicht sogar zurückschlagen wollen, doch du bist so überwältigt oder so beherrscht, dass du den Impuls nicht auslebst sondern hinunterschluckst.

Und jetzt kommt ein Mensch auf dich zu, der dir liebevoll helfen will, und sagt zu dir:

“Nimm dir das nicht so zu Herzen.”

– Autsch.

Du fühlst dich schlechter und weißt nicht, warum.

Da kommt ein anderer liebevoller Helfer und sagt: 

“Das war doch gar nicht so böse gemeint. Kopf hoch, alles wird gut.”

– Autsch.

Du fühlst dich noch schlechter und weißt nicht, warum.

Dein Leben muss weitergehen. Also schluckst du all deinen Schmerz und deine Angst, deine Wut und Enttäuschung schnell hinunter und versuchst gute Mine zu der Situation und den Menschen zu machen.

~ ~ ~ ~ ~

Wir Menschen haben bisher nicht gelernt, unsere Emotionen zu verstehen und damit angemessen umzugehen. Doch immer mehr sind dabei, es zu lernen.

Um besser sehen und verstehen zu können, was in dem Beispiel oben passiert ist, bringe ich emotionale Verletzung einmal auf die körperliche Ebene. Bei körperlichen Themen sehen wir etwas klarer als bei emotionalen:

~ ~ ~ ~ ~

Jemand verletzt dich, indem er dir eine Schnittwunde am Arm zufügt. Das Blut läuft.

Jetzt kommt ein liebevoller Helfer und sagt: “Nimm dir das nicht so zu Herzen.”

Und der nächste sagt: “Das war doch gar nicht so böse gemeint. Kopf hoch, alles wird gut.”

Hallo???

Wo ist der Mensch, der zu dir sagt: 

“Hey, du hast eine Wunde. Du hast bestimmt große Schmerzen. Lass uns schauen, was es braucht, damit die Wunde heilen kann.”

Wo ist der Mensch, der bei dir ist und dir in deiner Not hilft, deine Wunde zu versorgen?

Es ist kein Wunder, dass du dich nach den liebevoll gemeinten Aussprüchen “Nimm dir das nicht so zu Herzen.” noch viel schlechter fühlst als vorher.

In bester Absicht versuchen wir, einem Menschen guten Zuspruch zu geben, und erkennen nicht, dass wir damit sogar noch tiefer in die Wunde stechen. Wir spielen die Not herunter und sagen “Das wird schon wieder” ohne hinzuschauen, was wirklich los ist.

Das kann mitunter noch schmerzhafter sein und noch tiefer verwunden als die ursprüngliche Verletzung, denn wir ignorieren den Menschen auf mehreren Ebenen gleichzeitig:

  • Wir ignorieren den Schmerz, den dieser Mensch gerade erleidet.
  • Wir sehen nicht die Angst, mit der er zu kämpfen hat.
  • Wir lassen völlig außer Acht, dass er sich gerade in einem Schockzustand befinden kann und besondere Fürsorge braucht.

Bei körperlichen Verletzungen ist – zwar nicht allen – aber zumindest den meisten Menschen klar, was zu tun ist.

Wenn jemand mit stark blutendem Bein am Straßenrand liegt, gehen wir zum Glück nicht hin und sagen: “Nimm dir das nicht so zu Herzen.”

Wir wenden uns dem Menschen zu und schauen, was er jetzt in seiner Not braucht.

Vielleicht braucht er unsere Hilfe, vielleicht einen Notarzt.

Doch eines braucht er in diesem Moment AUF JEDEN FALL:

Jemand, 

  • der für ihn da ist 
  • der seine Not ernst nimmt,
  • der mitfühlt (Das heißt übrigens nicht, selber mitzuleiden!)
  • und wenn es möglich ist, Maßnahmen ergreift, die zur Heilung der Situation beitragen.

Wunden müssen versorgt und gepflegt werden.

Und das ist bei emotionalen Wunden oft noch wichtiger als bei körperlichen:

  • Emotionale Wunden sind von außen nicht sichtbar wie körperliche Verletzungen.
  • Doch sie können nur heilen, wenn sie nach außen gezeigt werden.
  • Damit sie heilen können, braucht es Fürsorge und Pflege, wie auch beim Körper.

Unser Körper kann viele Wunden selbst heilen.

Unsere Emotionen heilen nicht von allein.

~~~ Also:

Wenn wir das nächste Mal jemanden mit einer emotionalen Verletzung sehen, in Schmerz oder Angst, dann können wir uns fragen: 

Was würde ich jetzt tun, wenn das eine körperliche Wunde wäre?

Versuchen, das Problem herunterzuspielen?

Oder für diesen Menschen da sein und schauen, was er gerade wirklich braucht…

Ich danke dir von ganzem Herzen fürs Lesen,
Christian Hoefer